Freitag, 20. Januar 2012
Paradigmenwechsel in einfachen Gemeinden
Hier zunächst mal eine Definition:

Das Wort Paradigma (gr. παράδειγμα parádeigma) bedeutet "Beispiel“, "Vorbild", "Muster" oder „Abgrenzung“, "Vorurteil"; in allgemeinerer Form auch „Weltsicht“ oder "Weltanschauung". Seit dem späten 18. Jhdt. bezeichnet Paradigma eine bestimmte wissenschaftliche Lehrmeinung, eine Denkweise oder Art der Weltanschauung. Wenn sich eine solche grundlegend ändert, nennt man das Paradigmenwechsel.

1. Als zugehörig zu unserer Gesellschaft und Kultur in Deutschland sind wir geprägt durch bestimmte Paradigmen, die unser Reden, Denken und Verhalten bestimmen - hier in den großen und nationalen Zusammenhängen. Aber auch anders, in Subkulturen (Untergruppen der Gesellschaft), in sozialen Gruppierungen, Firmen, Vereinen und sogar in Familien werden wir von Pradigmen bestimmt.

Paradigmen beinhalten Meinungen, Überzeugungen, Denkweisen, Anschauungen und Muster, die wiederrum ihre Kraft aus eingeschliffenen Werten, Normen und Regeln ziehen. Ein Pradigma ist in diesem Sinne ein festgefügtes Gebäude, in dem wir gedanklich und gefühlsmäßig wohnen. Sie sind ein fester Rahmen, eine Art Box in der wir mehr oder weniger eingeschlossen sind.

Biblisch gesehen sind Pradigmen auch "gedankliche Bollwerke und Festungen, stabile Gedankengebäude, Philosophien und Weltanschauungen. Wie im folgenden Text:

" ... denn die Waffen unseres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig für Gott zur Zerstörung von Festungen; so zerstören wir überspitzte Gedankengebäude und jede Höhe, die sich gegen die Erkenntnis Gottes erhebt, und nehmen jeden Gedanken gefangen unter den Gehorsam Christi ..." (2.Kor.10,4.5).

2. Als Christen meinen wir oft, dass wir nicht in solchen Paradigmen leben und wähnen uns frei, von dem, was die Welt so geprägt hat. Wir leben in der Überzeugung, dass das Evangelium uns frei gemacht hat von solchen Prägungen. Und wirklich, mit einer tiefen Bekehrung wirkt der Geist Gottes auch demensprechend und wir können dieser Box entrinnen. Trotzdem beginnt schon am ersten Tag unseres neuen geistlichen Lebens wieder die Auseinandersetzung mit den Pradigmen in der unsichtbaren Welt. Neue, aber diesmal christliche Haltungen, Meinungen und Überzeugungen versuchen sich tief in unsere Persönlichkeit einzugraben, wie die Rillen in einer blanken Schallplatte.

Die Zugehörigkeit zu einer konfessionellen Gemeinde fördert diese Entwicklung, denn diese werden zusammengehalten von bestimmten Paradigmen die neben dem Geist und dem Wort eine eigenständige Existenz führen. Selbst wenn wir meinen, ohne die Zugehörigkeit zu einer solchen christlichen Institution auszukommen, bauen wir, ohne es zu wissen an einem solchen Gebäude in uns und um uns. Auch außerhalb konfessioneller Grenzen ist die Umgebung voll mit besonderen Glaubensüberzeugungen, bestimmten Lehrmeinungen und spezielle christliche Welt- und Gottesbilder und Muster. Besonders mächtig können z.B. diakonische, evanglikale, liberale, orthodoxe oder charismatische Paradigmen sein. Dann gibt es auch noch diverse Kritik- oder Laissez Fair- Paradigmen unter gläubigen Christen.

3. Ein Pradigmenwechsel ist deshalb so schwer, weil in der Regel das Paradigma nicht als solches erkannt wird. Es wird als offenbarte Wahrheit empfunden, die natürlich als ergänzungsbedürftig angesehen wird, doch wird nicht an den grundlegenden Präämissen gezweifelt. Die Auseinandersetzung auf Paradigmenebene kann von zwei Beteiligten oft so erlebt werden, als ob man verschiedene Sprachen spricht und sich nicht annähern und verstehen kann, obwol beide christlich gläubig sind. Es ist, als ob zwei Welten aufeinanderprallen und großes Unverständnis übrige bleibt. Viele von uns haben so etwas schon erlebt. Im Umgang mit Christen aus verschiedensten Richtungen, oder mit solchen "die keine Richtung vertreten", kann man als aufmerksamer Beobachter, am einfachsten durch die Gabe der Geisterunterscheidung, die verschiedenen Paradigmen erkennen, in denen die Personen leben.

Ein echter Paradigmenwechsel ist eigentlich nur möglich durch eine Offenbarung, die von Außen kommt, entweder plötzlich und durchbrechend, oder aber, und das geschieht häufiger, als langsamer schrittweise vorgehender Wandel. Wir erleben es in der Gesellschaft immer wieder, wie sich über Jahre oder Jahrzehnte die Pradigmen wechseln. (Siehe die Einstellung zur Männer- und Frauenrolle)
Ein Wechsel sollte im eigentlichen Sinne mehr die Entledigung von bestimmten Paradigmen sein und die Bewahrung vor der Übermahme neuer Paradigmen beinthalten. Ich denke, je älter wir werden und je reifer wir im Glauben werden, desto mehr können wir von Paradigmen frei werden und desto mehr können wir auf der Hut sein, nicht wieder neue Pradigmen zu übernehmen. Denn unser Lebenswandel sollte geprägt sein durch einen freien Wandel im Geist.

4. Das Paradigma Gemeinde
Paradigmen im christlichen Bereich können sehr hartnäckig sein, da sie oft mit Gottes unumstößlichen Willen begründet werden. Nach der Devise, "ich habe das von Gott bekommen" - oder "der Heilige Geist hat es mir gezeigt". Sie denken, wenn etwas von Gott kommt, dann muss es richtig sein. Was dabei vergessen wird, ist, dass Gottes Ansprache uns in der Regel nur innerhalb unserer Pradigmen erreichen kann. Was Außerhalb des Rahmens der Gedankenfestungen ist, wird nicht wahrgenommen oder es wird als unverständlich und nicht der eigenen göttlichen Wahrheit entsprechend eingeordnet. Erst durch eine Einwirkung von Außen, durch den Geist und/ oder durch bestimmte Umstände kann eine Öffnung geschehen.
Ich selbst bin jetzt schon 36 Jahre ein Nachfolger Jesu und musste vor etwa 10 Jahren feststellen wie eine bestimmte Vorstellung von Gemeinde, ein Paradigma tief in mir verankert war, an der es bis dahin keinen Zweifel gab. Dann aber wurde mir mehr und mehr bewußt, wie Dinge in mein Leben gekommen waren, die diese Sicherheit erschütterten. Ein Prozess der Auflösung hatte begonnen, was vorher nie von mir hinterfragt wurde, konnte jetzt einer eingehenden Prüfung nicht mehr standhalten. Das was ich unter Gemeinde verstand taugte nicht mehr zur Erklärung der Vorgänge und Sachverhalte die ich nun erkannte. Es war, als ob sich für mich eine neue Welt erschloss. Ja, ich kann sagen, damals begann ein Abenteuer, in dem ich noch heute voll drin bin. Zurückblickend, kann ich es manchmal gar nicht mehr nachvollziehen, von welchen Dingen ich damals felsenfest überzeugt war.
Heute würde ich es so beschreiben, dass Gott mich durch seinen Garten führt und mir nach und nach die Beschaffenheit und Art der Pflanzungen und Anordnungen erklärt, was ich vorher nie gesehen hatte und auch nicht verstanden hätte.

Ric

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Schon länger wollte ich auf diesen interessanten Artikel antworten, kam aber bisher nicht dazu.

Der Prozess, über die eigenen "Paradigmen" nachzudenken und diese gegebenenfalls auch in Frage zu stellen und zu ändern, ist sehr nötig und herausfordernd. Auch ich habe es erlebt, dass mir viele "Paradigmen" gar nicht bewusst waren, bis ich einmal (durch eigene Entscheidung oder gezwungenermassen) aus der Umgebung heraustrat, in der diese "Paradigmen" als normal und allgemeingültig galten. (Z.B. die Idee, dass "Gemeinde" aus "organisierten Veranstaltungen" besteht.) Oder dass mir erst dann bewusst wurde, dass ich in der Praxis ein ganz anderes "Paradigma" vertrat als was ich theoretisch als richtig erkannt hatte. Z.B. war mir theoretisch schon lange klar gewesen, dass eine christliche Gemeinde nach dem Neuen Testament nicht von einem "Pastor" geleitet wird und nicht einer "Denomination" angehört; aber die Gewohnheit des "das machen wir eben so" und des "das ist eben historisch so gewachsen" waren lange Zeit stärker als diese Erkenntnis.

Nun möchte ich aber behaupten, ein ganz "paradigmenfreies" Denken und Leben ist nicht nur unmöglich, es ist auch kein anzustrebendes Ziel. Francis Schaeffer sagte einmal: "Alles Denken ist auf Glauben aufgebaut"; und er meinte damit: Jeder Denkprozess, wenn er folgerichtig bis zu seinem Ursprung zurückverfolgt wird, baut auf bestimmten Voraussetzungen (oder Axiomen) auf, die nicht mehr logisch begründet werden können; d.h. sie müssen "im Glauben" angenommen werden. Diese Denkvoraussetzungen (oder "Paradigmen") sind also das "Fundament", das unserem Denken Halt und Struktur gibt. Würde ich also den Versuch machen, auf alle Denkvoraussetzungen überhaupt zu verzichten (was in sich schon wieder eine Denkvoraussetzung ist!), dann käme das dem Versuch gleich, ein Haus in der Luft zu erbauen. In Wirklichkeit käme es wahrscheinlich darauf hinaus, dass ich einfach auf anderen, aber mir jetzt unbewussten und unbekannten Voraussetzungen aufbaue.

Eher würde ich deshalb sagen: Ich möchte versuchen, mir meiner "Paradigmen" so weit wie möglich bewusst zu werden, damit ich sie mit dem Wort Gottes vergleichen kann; und wenn ich feststelle, dass sie nicht damit übereinstimmen, dann möchte ich sie bewusst ändern, damit sie so weit wie möglich damit übereinstimmen. Bzw. ich möchte verhindern, dass ich (wiederum in den Worten von Francis Schaeffer, aus dem Gedächtnis zitiert) "einfach die Denkvoraussetzungen meiner Umgebung annehme, etwa auf dieselbe Art und Weise, wie ein Kind mit Masern angesteckt wird".

Nun ist natürlich dieses Kriterium der Übereinstimmung mit dem Wort Gottes auch schon wieder ein "Paradigma", und eines der grundlegenden, für das ich mich bewusst entschieden habe. Davon ausgehend, glaube ich, dass verschiedene weitere "Paradigmen" direkt aus dem Wort Gottes abgeleitet werden können. Z.B. darüber, was das Wesen des Menschen ist; wie wir in eine richtige Beziehung zu Gott kommen können; was der Sinn und Zweck unseres Daseins ist; und eben auch darüber, was Gemeinde ist. Wobei wir natürlich immer vorsichtig sein müssen, dass wir nicht als angeblich "biblisches Paradigma" Gedanken und Konzepte mit übernehmen, die in Wirklichkeit von einem auf ganz anderen Voraussetzungen beruhenden Vorverständnis der Bibel geprägt sind. (Wahrscheinlich ist es das, was Du meinst, wenn Du davon sprichst, uns von Paradigmen freizumachen?)

Jedenfalls finde ich, es lohnt sich, diesem Thema weiter nachzugehen und versteckte "Paradigmen" auch in anderen Bereichen aufzuspüren, wie z.B: Was ist die Botschaft des Evangeliums? Was ist die Wiedergeburt? Wozu ist die Familie da? Wozu arbeiten wir? Usw. usw...

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Pradigmen- WECHSEL
Hallo Hans,
danke für deinen Kommentar. Du hast natürlich recht, es geht nicht darum von Paradigmen FREI zu werde, sondern es ging mir bei dem Artikle um den Paradigmen - WECHSEL.
Leider habe ich im Eifer mich nicht eindeutig ausgedrückt, obwohl mehrmals von dem Wechsel sprach habe ich folgendes geschrieben: "Ein Wechsel sollte im eigentlichen Sinne mehr die Entledigung von bestimmten Paradigmen sein und die Bewahrung vor der Übermahme neuer Paradigmen beinthalten."
Das ist ein Widerspruch in sich, ich spreche von Wechsel - dann müsste es auch auch heißen, "eine Bewahrung vor der Übernahme NEUER FALSCHER Paradigmen.

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