Sonntag, 7. Oktober 2007
Teil 2: Gottesdienst, woher kommt der eigentlich?
Aus der Kirchengeschichte wissen wir, dass sich bei der allmählich entstehenden institutionellen Kirche eine bestimmte Gottesdienstordnung, die wir auch Kultus nennen, herausbildete. Denn in der „nachapostolischen Zeit“ (ab ca. 100 n. Chr.) wurden die Versammlungen der Christen allmählich zu religiösen Feierlichkeiten, bei denen heilsvermittelnde Zeremonien und religiöse Riten im Mittelpunkt standen. Zum Beispiel wurde das Abendmahl nicht mehr als ein symbolisches Erinnerungsmahl gefeiert, sondern bekam die Form eines religiösen Rituals zur Erlangung von Heil und Heilung für das ewige Leben. Unter anderen machte es Ignatius von Antiochien zur zentralen Sache der christlichen Versammlung und bezeichnete es als „ein Heilmittel zur Unsterblichkeit, ein Gegengift, dass wir nicht sterben, sondern leben in Jesus Christus immerdar“. Das Abendmahl wurde zu einer echten Opferhandlung, bei der Jesu Christus immer wieder als Opfer für die Gläubigen gegeben wird. An einem dafür bereitgestellten Altar vollzieht sich in jedem Gottesdienst immer wieder neu die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Jesu als ein Mysterium für alle Gläubigen. Durch diesen religiösen Ritus wurde die christliche Versammlung zu einem „wahren Gottesdienst“, zu dem immer eine Opferhandlung gehört, wie sie auch im alttestamentlichen Tempel und in den heidnischen Tempeln vollzogen wird. Als „Heilige Eucharistie“ wurde das Abendmahl nicht mehr mit einem normalen Gemeinschaftsmahl verbunden und durfte nur noch von einem ordinierten Priester ausgeteilt werden. Ähnlich, wie alle Opferhandlungen im jüdischen und heidnischen Tempel, die nur von den Priestern ausgeführt werden durften. Die Trennung zwischen Klerus und Laien wurde dadurch besonders gefestigt und das allgemeine Priestertum der versammelten Gläubigen geriet in Vergessenheit. (Ignatius an die Epheser 20,2; 6,1)

Eine abgewandelte, aber vom Inhalt ähnliche Form entwickelte sich auch in den evangelikalen und charismatischen Gottesdiensten, nicht in Bezug auf das Abendmahl, sondern mit dem so genannten „Altarruf“. Der Sünder wird nach Vorne in den heiligen oder gesalbten Frontbereich (Altarsphäre) des Gottesdienstraumes gerufen, wo der Priester (Pastor, Prediger) steht, bereit um die Opferhandlung zu vollziehen. In einem öffentlichen Bekenntnis spricht der Gerufene ein formelhaftes Gebet, in dem er seine Sünde ablegt, dann das Opfer Jesu annimmt und dafür Vergebung und neues Leben erhält, bzw. den Segen des Priesters bekommt. Das erinnert mich an die Eucharistiefeier der Katholischen Kirche.
In beiden Situationen geschieht für mich das Selbe: Wahrer Lebensvollzug, der sich auf den Alltag des Christen beziehen sollte, wird in eine rituelle Opferhandlung zu Erlangung des Heils gepackt. Das drückt die alte menschliche Sehnsucht nach schnellen und wundersamen Instandlösungen aus. Damit will ich nicht abstreiten, dass aufrichtig suchende Menschen in diesen gottesdienstlichen Vollzügen auch wirkliches Leben und echte Heilung empfangen können, doch meine ich, dass die große Masse der Gottesdienstbesucher durch die Ableistung religiöser Pflichten und ritueller Handlungen nur getäuscht wird und in Wirklichkeit kein wahres Leben erhält.

Nicht nur in Bezug auf die Opferhandlung erscheint mir der „christliche Gottesdienst“ als fragwürdig, ähnliches gilt meiner Meinung nach auch für andere „gottesdienstliche Ereignisse“ wie rituelle Gebete und Predigten. Wenn Formen, Liturgien, Rituale, ja sogar Programme zum Ersatz und zum Alibi für die lebendige Beziehung zu Gott, zu Jesus Christus und zum Heiligen Geist werden, dann geht das eigentliche des Lebens aus Gott verloren und wird zum religiösen Lebensstil. Ein Gott angenehmer Gottesdienst kann meiner Meinung nach nur in der lebendigen Beziehung zwischen dem dreieinigen Gott und dem Gläubigen stattfinden und das soll immer und überall sein und braucht keine religiösen Formen oder Rituale.

ric

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Hallo Ric,

ich finde, dass du mit dem Vergleich zw. Eucharistie und Altarruf etwas überziehst. Ich bin zwar auch kein Fan davon, dass in bestimmten freikirchlichen Gemeinden so häufig und zu jedem Thema ein Bußaufruf erfolgt, mit der Aufforderung das dadurch festzumachen, dass man nach vorne kommt.
Aber wenn in einer Evangelisation Menschen zum "Altar" gerufen werden - der in Freikirchen eh nicht vorhanden ist - finde ich das immer noch als ein adäquates Mittel dem Suchenden zu helfen den Schritt zu Gott und zur Buße zu gehen. Ebenso die Hilfe durch ein vorformuliertes Gebet. In der Regel wird dem Büßer danach ein Gespräch unter vier Augen angeboten, in dem er seine Bekehrung erst wirklich festmacht.

Zudem würde sich wohl jeder Freikirchler dem verwehren, dass der Raum vor den Stuhlreihen irgendeine besondere Heiligkeit haben soll. Die Handlung ist hier wichtiger als der Ort.

Das mit dem Opferritual der Eucharistie zu vergleichen ist mMn nicht stimmig.

Charly

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Ich war einige Zeit überzeugter Katholik. Die Teilnahme an der Eucharistie war für mich, wie für viele andere immer wieder eine öffentliches Bekenntnis, dass ich ein Sünder bin und die Vergebung in Jesus brauche und seine Hilfe entgegennehme. Die Oblade, die ich vom Priester erheilt war für mich immer wieder ein Anhaltspunkt des neuen Lebens das ich empfing - entsprechend meines damaligen Glaubens war das gut. Ich möchte das auch nicht abwerten, viele Katholiken nehmen das sehr ernst und für mich war es eine Vorbereitung.
Wenn ich sehe, wie in Gottesdiensten nach der Predigt aufgerufen wird nach Vorne zu kommen, seine Sünden zu bekennen, neues Leben, bzw. Heiliung und Hilfe zu empfangen und viele (oft die selben) immer wieder nach vorne gehen und das tun, dann ist das für mich das Selbe. Das Gehen und das Empfangen des Gebetes von Vorne, daran machen dann viele ihren Glauben fest, sie brauchen dieses sichtbare Ritual, um zu empfangen.
Der Raum vorne, wo die Predigt, der Lobpreis, die Gebete, Lieder etc. stattfindet ist wie ein "Altarraum" - alle blicken dorthin, dort geschieht etwas, dort ist die Salbung. Dort steht die Kanzel, dort ist oft ein Abendmahlstisch, dahinter sehr oft ein Kreuz etc. genauso wie in den Großkirchen - ich sehe da vom Prinzip her keinen Unterschied.

ric

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Der Grund, warum in manchen - bei weitem nicht der überwiegenden Zahl - freikirchlichen Gemeinden solche Aufrufe nach vorne zu kommen gemacht wird, ist nicht unbedingt öffentlich Buße zu tun, sondern Segen und auch seelsorgerliche Zuwendung zu erhalten. Es geht nicht in erster Linie darum öffentlich zu bekennen dass man Sünder ist und Vergebung bedarf. Daher ist diese Gewohnheit nicht einfach mit der Eucharistie gleichzustellen.

Sichtbare Rituale brauchen fast alle Menschen - die einen in ihren beruflichen, die anderen in ihrem gemeindlichen Umfeld. Daran ist zunächst nichts schlechtes. Daher finde ich Gottesdienste als ritualisierte Form der Versammlung auch nicht unbedingt schlecht. Nur wenn man solche Gottesdienste in ihrer Bedeutung überhebt, finde ich das falsch. Leider wachsen viele Christen in der Überzeugung auf, ein schlechter Christ zu sein, nur weil sie solche Gottesdienste nicht regelmäßig besuchen. Das ist für mich eine Überhebung der Bedeutung von Gottesdienste. Ganz zu schweigen von den Überhebungen der Bedeutung ritueller Handlungen in Gottesdiensten, die du bereits erwähnt hast.

Nicht nur ich, sondern eigentlich die überwiegende Zahl der Freikirchen sieht zwischen einer Kanzel und einem Altar einen erheblichen Unterschied.

Mir ist diese Unart bestimmter Gemeinden, die du hier ansprichst, durchaus bewusst. Aber es sind nur wenige Gemeinden, die solche Gepflogenheiten haben und diese kann man durchaus anderes bewerten als du es hier getan hast.

Gruß, Charly

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Zu den sichtbaren christlichen Gepflogenheiten und Dingen gibt es viele unterschiedliche Bewertungen, Empfindungen, Auslegungen und Interpretationen.
Was ich geschrieben habe ist meine. Wenn du mir nicht beipflichtest, dann ist das ok. Ich habe in der Beurteilung und Bewertung dieser Dinge einen starken Wandel durchgemacht und halte es für notwendig, das so jetzt darzustellen. Wenn es vielleicht auch überzogen klingt, so geht es um den Kern der Dinge, dass wir frei werden müssen von einem rituellen und religiösen Christsein. Und da glaube ich eben, dass die evangelikalen und charismatischen Gemeinden oft nicht besser sind als z.B. die katholische Kirche. Der Mensch ist eben der Selbe, hier und da. Er nimmt sich immer wieder einen "Nehustan" (siehe Artikel unter www.zweioderdrei.net) und betet ihn an. Den muß ein Josua zerschlagen, um neue Freiheit für Gott zu haben.

ric

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