Freitag, 5. Januar 2007
Red Moon Rising
Großbritannien • Rumänien
Als ich aus der Stadt herausfuhr, war ich aufgeregt und nervös. Jetzt konnte ich nicht mehr umkehren. Die letzten Monate waren ein Wirbelwind voller Überraschungen gewesen. Im Juli hatte ich Herrnhut besucht. Im September hatten wir mit unserem ersten Gebetsraum in Chichester begonnen. Im November hatten sich nach der Cultural Shift-Konferenz die Gebetsräume erstmals über das ganze Land verbreitet. Im Dezember war ich Pete Worthington begegnet und hatte von seinem Ruf erfahren, unsere Website zu entwerfen. Jetzt war es Februar, sechs Monate nach dem Beginn unseres ersten Gebetsraums, und wir waren dabei, die Dinge landesweit ins Rollen zu bringen, unter einem einheitlichen Namen, mit einer Website und diesen lächerlichen Plänen, den ganzen Rest des Jahres ohne Pause zu beten, indem wir jede Woche oder jeden Monat den Staffelstab weiterreichten.
Der kalte Winterabend war schon hereingedämmert, als ich durch die Stadt fuhr, um die anderen auf unserem Weg nach Guildford in der Nähe von London einzusammeln, wo der offizielle Startschuss fallen sollte. »Worum geht es hier eigentlich? «, fragte ich mich laut, denn noch saß ich allein im Auto,das bald gerammelt voll sein würde. »Herr, wir brauchen dich heute Abend total.« In der Dämmerung stand ein riesiger Vollmond über den Dächern von Chichester; leuchtend rot und etwas unheimlich hob er sich gegen den diesigen Himmel ab. Dieser Anblick fasziniert mich immer wieder, aber an diesem besonderen Abend ging er tiefer. Was hatte der Prophet Joel noch gesagt?
Wenn die letzte Zeit anbricht, sagt Gott, dann gieße ich über alle Menschen meinen Geist aus. Männer und Frauen in Israel werden dann zu Propheten. 108 Junge Leute haben Visionen und die Alten prophetische Träume (...) Die Sonne verfinstert sich, und der Mond wird blutrot. So kündigt sich der große Tag des Herrn an, dem niemand entrinnen kann. Wer sich dann zum Herrn bekennt und seinen Namen anruft, wird gerettet. Apostelgeschichte 2,17.20–21; Gute Nachricht Bibel Ich spürte, dass Gott mir sagte, dass dieser Abend, dieser Startschuss, diese Bewegung etwas mit dieser letzten Zeit zu tun hatten. Er sagte, dass das 24-7-Gebet dieser Ausgießung seines Geistes auf alle Generationen entsprang und Träume und Visionen ein wichtiger Teil waren. Vor allem aber musste 24-7- Prayer seinen Platz finden, um den Missionsbefehl Jesu umzusetzen, die Botschaft der Erlösung für jeden, der den »Namen des Herrn bekennt und seinen Namen anruft«. In dieser Nacht leuchtete der Mond rot, aber zugleich war es Vollmond wie der Erntemond im September. [Der große, strahlende Vollmond, der vor allem im September zur Ernte zu beobachten ist, wird im Englischen auch harvest moon („Erntemond“) genannt.]
»Ich sage euch«, sagt Jesus, »macht die Augen auf und seht
euch die Felder an! Das Korn ist schon reif für die Ernte« (Johannes 4,35; Gute Nachricht Bibel), oder wie es der Apostel
Paulus ausdrückt: »Jetzt ist die Zeit der Gnade! Jetzt ist der Tag der Rettung!« (2. Korinther 6,2; Gute Nachricht Bibel).



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Bojanglez
Als wir uns eine Stunde später Guildford näherten, begrüßte uns der gewohnte Anblick: Auf dem Stag Hill, wo früher die englischen Könige jagten, steht – von Scheinwerfern angestrahlt – die Kathedrale. Durch ihren neogotischen Stil schien sie prädestiniert für ihre »Hauptrolle« in den Horrorfilmen der Omen-Reihe. Nicht ganz so außergewöhnlich zieht sich die Stadt Guildford unter dem Kathedralenviertel bis hinunter zum Fluss Wey. Da in einer Nebenstraße gut versteckt liegt auch ein heruntergekommener Nachtclub: genannt Bojanglez. [Benannt nach Robinson Bojangles, einem weltberühmten afroamerikanischen Tänzer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts]
Es wird niemanden überraschen, dass der Startschuss für 24-7 nicht in der großen Kathedrale auf dem königlichen Hügel fiel, sondern im Bojanglez-Nachtclub in einer dürftig beleuchteten Straße. Über 400 Leute aus ganz Großbritannien hatten sich heute Abend an diesem düsteren Ort versammelt. Wir standen in klebrigen Bierpfützen, hier und da hing irgendetwas von der Decke herab und wir begannen zu beten und Gott anzubeten. Es gab eine Band, einen DJ und eine Tanzchoreographie. Inzwischen wusste ich genau, welche Message heute Abend dran war. Ich stand auf und las Joels Prophetie vor. Das Bild des roten Vollmonds hatte sich in mein Gedächtnis eingeprägt. Zum Schluss las ich noch das Bibelwort vor, in dem Jesus von der Errettung für jeden spricht, der »sich zum Herrn bekennt und seinen Namen anruft«. Aber auf einmal merkte ich, dass mich meine eigenen Worte überführten. Vielleicht waren hier und jetzt in dieser riesigen Versammlung Menschen, die noch nie den »Namen des Herrn angerufen« und Rettung gefunden hatten?
Eigentlich unwahrscheinlich. Immerhin starteten wir gerade eine anspruchsvolle Gebetskampagne. Das war doch hier kein dezenter Gästegottesdienst für Kirchendistanzierte oder ein »Lade alle deine Freunde ein«-Event. Anderseits, gäbe es einen besseren Startschuss für eine Gebetsbewegung, als wenn jemand zum ersten Mal in seinem Leben sich entscheiden würde Jesus zu folgen? Etwas zögerlich, so als Anhängsel an die Predigt, gaben wir jedem die Möglichkeit, Jesus Christus sein Leben zu geben. Dreizehn junge Leute entschieden sich an diesem Abend, an dem 24-7 ins Leben gerufen wurde, für Jesus, und dutzende andere erneuerten ihre Entscheidung für ihn.

Wien
Als Ian Nicholson, der ehemalige Bibelschmuggler, sich in diesem Nachtclub umschaute und die vielen jungen Leute zusammen beten sah, fühlte er sich zwanzig Jahre jünger. Damals in Wien hatte er ganz ähnliche Zeiten leidenschaftlichen Gebets erlebt. Er war damals 21, gerade drei Jahre Christ, doch traf er sich regelmäßig mit anderen jungen Missionaren, um leidenschaftlich für andere Länder und ganz besonders für die verfolgte Kirche hinter dem Eisernen Vorhang zu beten – jeden Mittwoch von acht Uhr abends bis Mitternacht und weit danach. Damals war es einfach gewesen zu beten, z.B. für die arme siebenköpfige rumänische Familie, die in einem einfachen Haus mit zwei Zimmern lebte. Ian lernte sie in Bacau kennen. Noch heute erinnert er sich, wie er den Araber auf der schmutzigen Straße vor ihrem Haus geparkt hatte. Es war Mitternacht und man schleppte die geheime Fracht, eine Ladung Bibeln versteckt in schwarzen Müllsäcken, in das Haus der Gläubigen. Anna, die Mutter, trug ein typisches buntes Kopftuch und murmelte immer wieder »Halleluja, halleluja!«, als sie einen weiteren ausgebeulten Sack über die Schwelle trug. Das war eine gefährliche Arbeit, milde ausgedrückt. Man
lebte in einer Gesellschaft, in der jeder Fünfte ein Informant der Staatspolizei war. Und so blickte Ian immer wieder auf die Fenster des Wohnblocks gegenüber, von dem man ihre geheimen Aktivitäten verfolgen konnte. Ein einziger misstrauischer Nachbar, ein einziger Telefonanruf würde eine wahrhaft furchtbare Kette von Ereignissen auslösen.
Ian wusste, dass das einmal mehr Verhaftung bedeuten würde. Wieder einmal wäre er den psychologischen Spielchen der Polizei und einem Verhör in den Händen des Sicherheits- dienstes ausgeliefert. Diese Gedanken machten ihm nicht wirklich Angst – seit seiner Rückkehr in die Tschechoslowakei stand er bereits auf der schwarzen Liste. Schlimmer wäre es, den Araber zu verlieren. Sein Verlust würde der Missionsgesellschaft schwer zu schaffen machen. Aber natürlich galt die eigentliche Sorge Mircu und Anna, diesem mutigen Ehepaar. Sie standen mit Sicherheit unter Beobachtung durch die Geheimpolizei. Würde man die geschmuggelten Bibeln bei ihnen finden, mit Sicherheit wären Gefängnis und Folter durch Ceausescus skrupellose Schergen die grausamen Folgen. Und was ihre fünf Kinder anging ...
»Der letzte?«, flüsterte Mircu und strahlte glücklich, seine großen rauen Hände nahmen den letzten Sack Bibeln in Empfang.
Drinnen wartete ein einfaches Festmahl auf Ian und sein Schmugglerteam. Er wusste, das Steak auf ihrem Teller war ieFleischration eines ganzen Monats, die von der Familie reudig geopfert wurde. Ein Akkordeon wurde hervorgeholt und Mircu begann zu singen. Er dankte Gott für das Geschenk seines kostbaren Wortes. Auch Doreen stimmte mit ihrem räftigen Opernsopran ein, und dieses Mal lächelten Ian und Linda und auch sie sangen fröhlich mit. Anna wurstelte glücklich im ganzen Haus herum, strahlte über beide Ohren und murmelte immer wieder »Halleluja«, wenn sie die ausgebeulten schwarzen Plastiksäcke in der Zimmerecke stehen sah.
Doch Ian riss das Team von dem gemütlichen Heim los und dankte dem Ehepaar überschwänglich für seine Gastfreundschaft. Jeder Augenblick, den sie länger blieben, gefährdete die Familie nur noch mehr, das wusste Ian. So drehte er den Zündschlüssel, der Motor gehorchte und sprang stotternd an. In der nächtlichen Stille hallte das Geräusch auf der Straße wie Donner wider. Ian blickte instinktiv zum Wohnblock auf und glaubte eine Bewegung hinter einem der dunklen Fenster gesehen zu haben. Ohne Scheinwerfer steuerte er den Transporter so zügig und doch so leise wie möglich die staubige Straße entlang. Im Rückspiegel sah er Mircu und Anna immer noch winken und lächeln. Der Araber bog um die Ecke und verschwand im Dunkel der Nacht.

»Ian?« Mit einem Ruck kehrte er auf den klebrigen Fußboden des Bojanglez zurück, fand sich in einer Masse von Menschen wieder, die Gott anbeteten. Er war tausende Kilometer von Bacau und der rumänischen Familie entfernt, und eine halbe Ewigkeit schien seit den Gebetsnächten in Wien vergangen zu sein. Jetzt, mit Mitte vierzig und als erfahrener Pastor, war Ian nicht mehr der wütende junge Mann, aber als er sich im Raum umschaute, begann sich etwas in ihm mit aller Kraft zu melden. Als er diese Explosion des Gebets sah, wusste er, dass er die Geburt von etwas ganz Neuem miterlebte. Mit jeder Faser seines Wesens schwor er sich, dass diese Leidenschaft fürs Gebet eines Tages in eine Leidenschaft für Mission mündenmuss, und das lieber heute als morgen. Er konnte nicht wissen, dass diese Überzeugung nur elf Wochen später Wirklichkeit werden würde, als verzweifelte Christen auf der spanischen Insel Ibiza ihn um Hilfe baten: Würde 24-7 kommen und den ganzen Sommer in Ibiza beten, während der Sommer auf Europas hedonistischer Hauptstadt zu einer einzigen Party werden würde? Nach fünf Jahren nunterbrochenem Gebet in Herrnhut wurde das Dorf zu einem Hafen, bei dem Missionare ein- und ausgingen; die Gebetsbewegung wurde zur Missionsbewegung. Für uns, die wir heute im globalen Dorf leben, bewegen sich die Dinge scheinbar sehr viel schneller.

(Kap. 9 des neuen Buches "Red Moon Rising"
Die Geschichte des 24/7 Prayer - siehe http://www.24-7prayer.com/

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