Donnerstag, 23. Dezember 2010
Reich Gottes und einfache Gemeinden Teil 1
Ein neuer Paradigmenwechsel kommt
Bisher hatte ich eine bestimmte Einstellung zum Reich Gottes gehabt. Es basierte auf einer Lehre aus den 70er Jahren. Zuerst hatte ich diese von Loren Cunningham gehört. Er lehrte damals über die 7 Gesesellschaftsbereiche, in denen sich das Reich Gottes ausbreiten solle. Damit meinte er etwa die folgenden Bereiche:
Medien, Politik, Kirche, Kunst u. Kultur, Wirtschaft,Technik u. Industrie, Familie.
Verstanden wurde es von mir und von anderen so, dass wir als Christen in diesen Bereichen unsere Verantwortung übernehmen müssen, dort unser Christsein zu leben, um das Reich Gottes wie den Sauerteig hineinzubringen. Das bedeutete z.B. dass Christen eine Laufbahn als Politiker beschreiten und dort im Sinne des Reiches Gottes agieren. Oder andere als Wirtschaftsfachleute und Unternehmer nach christlichen Maßstäben handeln. Wieder andere, könnten eine Pastorenausbildung machen, um in einer Kirche zu dienen und so weiter und so fort.

Heute bin ich nicht mehr von diesem Ansatz überzeugt, denn ich habe gesehen, dass er in der Konsequenz gelebt dahin führt, dass einzelne Gläubige wie Agenten in fremde Bereiche eindringen um Einfluss zu gewinnen. Dieser Weg wird mit der Zeit einsam, gefährlich und fragwürdig. Verstehen wir doch, dass sich der einzelne Christ dabei innerhalb weltlicher, natürlicher oder gar dämonischer Systeme behaupten muss. Er kann wohl schaffen dort als Christ zu überleben, aber es ist sehr fraglich, ob er in diesen „Räuberhölen“ auch die Prinzipien des Reiches Gottes umsetzen kann, ohne Schaden zu nehmen.
Was ich leider immer wieder gesehen habe, ist, dass genau das Umgekehrte geschah, die weltlichen Prinzipen drangen mehr und mehr in das „christliche Engagement“ ein. Ich denke dabei z.B. an die Entwicklung im Bereich christlicher Medien (Buch- und Musikvertrieb). Als Kleinverleger kann ich aus eigenem Erleben berichten, wie sehr hier die Anpassung an die Methoden der Welt gängig geworden sind. Auch innerhalb der Wirtschaft haben sich viele christliche Unternehmer mehr an das kapitalistische System angepasst, anstatt einen alternativen neuen Weg zu gehen. Last not least können wir heute auch im Bereich der Kirchen und Gemeinden diese Umkehrung beobachten. Programme für Gemeindewachstum nach psychologischen Methoden und weltichen Managementprinzipien haben da überall Eingang gefunden, um nur eine Sache von vielen anderen zu nennen

Vielleicht war diese alte Lehre vom Reich Gottes für den damaligen Zeitpunkt nicht falsch, sondern der zeitlichen Entwicklung angemessen, doch heute haben sich die Dinge verändert, die Verlogenheit und Bosheit wird immer mehr sichtbar. Egoismus, Habgier, Machstreben und Fleischeslust bestimmen heute zum größten Teil alle Bereiche unserer Gesellschaft. Denkt mal an die täglichen Nachrichten.
Kann es nun sein, dass Gott heute sagt:
„Gefallen, gefallen ist Babylon, die Große, und ist eine Behausung von Dämonen geworden und ein Gefängnis jedes unreinen Geistes …Geht aus ihr hinaus, mein Volk, damit ihr nicht an ihren Sünden teilhabt …“ (Offb. 18,2.4)
Wenn das stimmt, was dann?

Fortsetzung folgt ...

Ric

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Wow, das ist ein gewichtiges Thema! Ich fühle mich hier angesprochen, weil auch ich lange Zeit "begeistert" war von dem Konzept, "die Gesellschaftsbereiche für Jesus einzunehmen". Allerdings in einer etwas abgeschwächten oder "gesünderen" Form, wie sie im schweizerischen Zweig von JMEM vertreten wurde, hauptsächlich unter dem Einfluss von Glenn Martin, der dort wiederholt über "Biblisch-christliche Weltanschauung" lehrte. Er betonte vor allem "die Anwendbarkeit der biblischen Wahrheit auf alle Lebensbereiche", d.h. dass die Bibel uns nicht nur für die Religiosität und das Privatleben etwas zu sagen hat, sondern dass es biblische Richtlinien gibt für alle Lebens- und Gesellschaftsbereiche, und dass ein Christ dafür verantwortlich ist, diese biblischen Richtlinien für den Bereich, in welchem er persönlich tätig ist, zu erforschen, zu kennen und anzuwenden.

Diesen Aspekt finde ich weiterhin richtig und wichtig. Zu viele Christen denken, es genüge, die Bibel für ihr kirchliches und privates Leben zu lesen; aber wenn es um ihr Berufsleben geht, dann schliessen sie die Bibel im Schrank ein und folgen sklavisch den Prinzipien, die ihnen von ihren Lehrmeistern oder Universitätsprofessoren beigebracht wurden - "das ist ein weltlicher Bereich, da hat die Bibel nichts dazu zu sagen." Und das führt eben dazu, dass sie dann von diesen - in Wirklichkeit gegengöttlichen - Prinzipien der Welt geprägt werden und diese Prinzipien schlussendlich sogar in die Kirche hineintragen, wie Du sehr treffend herausgestellt hast. (Das geschieht eben auch, ohne dass die betreffenden Christen bewusst als "christliche Agenten" in die Gesellschaft hinausgeschickt würden!)

Vor kurzem habe ich einen beleidigten Brief von einer "Pädagogin" erhalten, die sich durch einen meiner (auf Deutsch noch nicht veröffentlichten) Artikel über christliche Pädagogik in ihrer Berufsehre verletzt fühlt. Sie schreibt darin: "Es gibt nur eine einzige Pädagogik, und diese greift in keinen religösen Glauben ein!" Das ist gerade der grosse Trugschluss, dem viele "Christen" verfallen sind, wenn sie z.B. sonntags in der Kirche ganz überzeugt verkünden: "Der Mensch kann sich nicht selbst erlösen", aber montags in ihrer Arbeit die weltliche Pädagogik (oder die Wissenschaft, oder die Wirtschaft, oder was auch immer) praktisch als Weg zur Erlösung verkünden und anwenden, und in *diesem* Bereich die Ideen ihrer nichtchristlichen Vordenker als absolute Wahrheit annehmen.

In dieser Hinsicht kommen wir also nicht darum herum, biblische Modelle zu suchen und zu leben. Wo das nicht geschieht, sehe ich nur zwei Alternativen: Wir leben nach den Massstäben dieser Welt (wie es z.Z. ja mehrheitlich geschieht); oder wir ziehen uns aus allen gesellschaftlich relevanten Bereichen zurück. Aber selbst wenn es möglich wäre, ganz "auszuwandern" und z.B. ein eigenes christliches Gemeinwesen zu gründen, dann müssten wir uns immer noch den praktischen Fragen stellen, wie dieses Gemeinwesen regiert werden soll, wie seine Wirtschaft funktionieren soll, usw. Wenn wir bis dann keine biblischen Antworten auf diese Fragen gefunden haben, dann wird auch ein solches "christliches Gemeinwesen" notgedrungen von unseren angelernten weltlichen Prinzipien regiert werden.


- Ein ganz anderer Aspekt ist jetzt aber der des christlichen "Einflussnehmens" oder "Herrschens" (in einer weitgehend nichtchristlichen Gesellschaft); und wenn ich richtig verstehe, ist es v.a. dieser Aspekt, den Du ansprichst. Und da habe ich auch beobachtet, dass solche Ansätze zu einer christlichen Gesellschaftsverbesserung sehr bald in das umschlagen, was in Amerika "Dominionismus" genannt wird: die Lehre, dass Christen versuchen sollten, ganz praktisch und politisch möglichst viel Einfluss zu gewinnen, um (in einem falsch verstandenen Sinn) "sich die Erde untertan zu machen". Ein trauriges Beispiel dafür war hier in Perú vor etwa sechs Jahren die Gründung einer "christlichen" politischen Partei durch einen Gemeindepastor, der um der Parteigründung willen seine Gemeindeverantwortung aufgab. Viele Pastoren im ganzen Land taten es ihm gleich, sodass im Wahljahr 2006 viele Kirchen verwaist waren, und andere zu Wahlkampfplattformen umfunktioniert wurden. Es gibt jetzt etwas mehr evangelische Christen als vorher in politischen Ämtern, aber soweit ich sehen kann, hat das der Sache Gottes mehr geschadet als genützt. Die meisten sahen es anscheinend v.a. als eine Chance, endlich auch einmal öffentlich Macht und Einfluss auszuüben - verbunden mit derselben Korruption wie bei den anderen Politikern. Das Parteiprogramm enthält keine spezifisch christlichen Punkte; und Schlagzeilen gab es vor allem wegen einer internen Spaltung der Parteileitung, wo sich die Gründungsmitglieder gegenseitig aus der Partei ausschlossen.

Glenn Martin führt (u.a. in Anlehnung an Francis Schaeffer) als Positivbeispiel die Reformationsländer an, die (v.a. von Mitte des 17. bis Ende des 18.Jahrhunderts) stark von biblisch-christlichem Gedankengut geprägt waren. Dadurch wurde es tatsächlich möglich, dass ganze Gesellschaften "reformiert" wurden, indem z.B. der moderne Rechtsstaat entstand, Religions- und Gewissensfreiheit eingeführt wurde, der allgemeine moralische Standard angehoben wurde (mit Folgen für die Arbeitswelt und Wirtschaft), usw. Aber so etwas ist natürlich nur möglich, wenn tatsächlich die Mehrheit der Bevölkerung, inbegriffen die Regierung, "christlich denkt". Deshalb würde ich sagen: *Wenn* Christen durch Gottes Fügung einen gewissen Einfluss haben in der Gesellschaft, dann sind sie auch verantwortlich dafür, ihren Einfluss nach christlichen Prinzipien auszuüben (und auf biblischer Grundlage diese christlichen Prinzipien herauszuarbeiten). Wir haben aber kein Mandat, solchen Einfluss von uns aus zu erstreben.

Heute sind wir tatsächlich weit entfernt von der Situation der Nachreformationszeit. "Was dann?" fragst Du. - Francis Schaeffer sagt, dass die allgemeine Situation der westlichen Welt zunehmend der Situation des alten Römischen Reiches gleicht. Eine darüber hinausgehende Spekulation besagt, dass die Geschichte der Christenheit, wenn sie ihrem Ende entgegengeht, wieder zur Situation ihres Anfangs zurückkommen wird - nicht nur bezüglich des Wiedererstehens von Gemeindeformen, die der Urgemeinde näher stehen, sondern auch bezüglich der bedrohten Minderheitssituation der Christen, wie sie in den ersten Jahrhunderten im Römischen Reich herrschte. Wenn das stimmt (ich würde das einmal noch mit einem vorsichtigen Fragezeichen versehen), dann müssten wir unsere geschichtlichen Beispiele und Vorbilder nicht mehr aus der Nachreformationszeit holen, sondern aus der Römerzeit.

Bin gespannt auf die Fortsetzung...

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