Freitag, 30. April 2010
Mein neues Buch "Einfach(e) Gemeinde leben" erscheint Mitte Mai - hier ein Auszug


Ein Netzwerk braucht Ausgewogenheit

Auf die Entwicklung unseres Gemeindelebens wirken immer verschiedene Kräfte, die wir oft nicht erkennen und die erst nach langer Zeit von einigen Gemeindegliedern erkannt und von anderen womöglich gar nicht wahrgenommen werden. Traditionen und Gewohnheiten können zum Beispiel solche Kräfte sein. Oft ist es auch Machtstreben einzelner Gemeindeglieder oder Methoden, die aus der Welt adaptiert werden. Wir wissen, dass wir in einem Kampf mit unsichtbaren Kräften stehen und die Aufgabe haben geistliches Land zu erobern. Wenn wir aber stillstehen, werden wir verlieren. Manchmal sind es ganz normale Dinge, ja ich würde sagen „Naturgesetze“, die, weil wir sie nicht beachten und nicht richtig nutzen, einen negativen Effekt ausüben. So ist es auch mit den zwei Kräften, die ich im Folgenden beschreiben will.

Die Zentripetalkraft und die Zentrifugalkraft

Ein starkes „Gemeindezentrum“ erzeugt eine große Anziehungskraft, weil es über viele verschiedene Gaben, Fähigkeiten, finanzielle Kräfte und zahlreiche Angebote verfügt. Für die meisten Menschen bzw. Christen ist das attraktiver als eine kleine einfache Gemeinde, die nur begrenzte Möglichkeiten hat. Wenn sich aber die gemeindlichen Aktivitäten der Gläubigen zu stark auf ein solches Zentrum ausrichten, kann es gefährlich werden, denn die meisten vorhandenen Ressourcen, die es in der Umgebung gibt, werden in diesen lokalen Mittelpunkt hineingezogen. Es entsteht eine Art Zentripetalkraft, die eine Sogwirkung ausübt. Die Wirkungsweise ist vergleichbar mit den schwarzen Löchern, die man im Universum beobachten kann. Planeten, die einem schwarzen Loch zu nahe kommen, werden unweigerlich von ihm aufgesogen, die Anziehungskraft ist so stark, dass sie ihre Bahn nicht mehr halten können und in ihnen verschwinden. Auch innerhalb unserer Gemeindestrukturen lassen sich ähnliche Wirkungen beobachten. Gläubige, die einem solchen Zentrum nahe kommen, werden unweigerlich von dessen Attraktivität wie magnetisch angezogen. Anfangs ist das sicher bereichernd und wertvoll und gehört mit zu den positiven Glaubenserfahrungen. Die Beobachtung, die ich aber leider mehrfach machen musste, zeigte dann aber doch einen negativen Trend. Das System des Gemeindezentrums prägte die Mitglieder so stark, dass sich eine Abgrenzung nach Außen entwickelte und ein elitärer Geist sichtbar wurde. Die Freiheit und Individualität der einzelnen Gemeindemitglieder wurde dem großen System einverleibt, an ihre Stelle trat Einheit durch Uniformität.

Durch die starke Anziehungskraft richtet sich alles auf das Zentrum aus und ballt sich an einem Ort zusammen. Kräfte, Gaben und Berufungen werden gebunden und dem Reich Gottes entzogen. Ich habe erlebt, wie in solchen Gemeindezentren berufene und begabte Jünger durch den organisatorischen und programmorientierten Ablauf des Gemeindesystems vereinnahmt wurden, um die „Show am Laufen zu halten“, anstatt für ihren eigentlichen Dienst freigesetzt zu werden. Wertvolle Ressourcen lagen viele Jahre brach und wurden fragwürdigen Events und gottesdienstlichen Programmen geopfert. Viele dieser Leute hatten ehrliche Absichten und wollten der Gemeindleitung gehorsam sein, obwohl sie den Drang zum „Dienst nach Draußen“ tief in sich spürten. In vielen Fällen wurden dadurch auch Gemeindespaltungen ausgelöst.

Auch der Versuch des Gemeindezentrums einer zentripetalen Entwicklung entgegenzuwirken, z.B. durch die Einrichtung einer breitflächigen Zellstruktur, hat keine Chance gegen die starke Kraft, die nach innen zieht, wenn das Zentrum und seine Programme die Priorität bleiben. Ich habe es mehrmals erlebt, wie ein starkes Gemeindezentrum, in dem ich zu Hause war, das selbständige, dezentrale Leben, an der Peripherie auf die Dauer erstickte, bzw. in sich aufsog, aus Angst, die Kontrolle zu verlieren. Eine Multiplikation von Diensten und Gemeinden kann da nicht entstehen und steht meist auch nicht auf der Gemeindeagenda.

Andererseits gibt es auch eine große Gefahr, wenn wir uns zu sehr auf Unabhängigkeit, Eigenständigkeit und Individualität einlassen. Dadurch wird eine starke Zentrifugalkraft ausgelöst, die zu einer Falle werden kann. Bei Hausgemeinden oder einfachen Gemeinden kann das zu einer Bedrohung werden, die wir nicht unterschätzen sollten. Zum echten Problem wird es dann, wenn einzelne Hausgemeinden gegen Vernetzung sind, ein Zentrum und eine gemeinsame Ausrichtung prinzipiell ablehnen und sich weigern eine gemeinsame Identität als Gemeinschaft mit anderen einfachen Gemeinden zu suchen. Sie haben Angst ihre eigene Identität als Gemeinde zu verlieren und wollen sich lieber weiter unabhängig entwickeln. Dadurch kommen sie nicht in den Genuss der Gaben vieler anderer und sind nicht angeschlossen an den regelmäßigen Einfluss der Dienste. Sie verlieren leicht die Objektivität und können in extreme Richtungen abgleiten. Wenn diese Entwicklung kommt, dann wird eine starke Fliehkraft entstehen, die dazu führt, dass sich die Hausgemeinden immer weiter voneinander entfernen, bald ganz zerstreut sind und „auseinander fliegen“.

Einfache Gemeinden brauchen die Anbindung an ein Netzwerk und an eine gemeinsame Vision, um nicht in Unverbindlichkeit und Unbedeutsamkeit unterzugehen. Dazu gehören gemeinsame, zentrale Feiergottesdienste, Lehrveranstaltungen und andere Events, an denen die einzelnen Hausgemeinden teilnehmen können. Offenheit und Aufnahme der mobilen Dienste aus Eph. 4.11, die ihre Einsicht und Gaben in die Hausgemeinden bringen, ist hier wichtig, um ein Gleichgewicht herzustellen. Damit sich ein Netzwerk von Hausgemeinden gesund zwischen beiden Extremen entwickeln kann, muss eine Ausgewogenheit zwischen Anziehungs- und Fliehkraft herrschen. Der Heilige Geist will diese Balance herstellen, bei der beide Kräfte in ein Gleichgewicht kommen und die unterschiedlichen Tendenzen gut aufeinander abgestimmt werden. Das zeigt sich in der Struktur eines Netzwerkes, wo sich die Verteilung der verschiedenen Veranstaltungen und Aktivitäten entsprechend einpendelt. Auch hier müssen wir weniger machen, planen und organisieren, als vielmehr beobachten und erkennen, in welche Richtung uns der Heilige Geist führen möchte. Da gibt es keine Schablonen, die auf alle Netzwerke gleich anzulegen sind, sondern es entstehen immer individuelle Strukturen, die vom Charakter der Personen, der Hausgemeinden, der Orte und den Bedingungen und Gegebenheiten abhängen. Die Ausbreitung der Gemeinden im 1. Jahrhundert geschah offensichtlich ohne Schwierigkeiten in ausbalancierten Netzwerkstrukturen, weil die Dienste, die Paulus in Epheser 4,11 erwähnt, ungehindert wirken konnten. Als sie später blockiert wurden, veränderten sich die Strukturen und führten zum Kirchensystem, das wir heute noch haben.

VORBESTELLUNGEN FÜR DAS BUCH NEHME ICH GERNE ENTGEGEN

Richard Schutty

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