Dienstag, 25. März 2008
Die "Gemeindeämter" in und am Ende der apostolischen Zeit
risced, 16:43h
aus der pfingstlichen Zeitschrift Gärtner 6ff./ aus dem Jahre 1908
Wenn wir über dieses Thema an dieser Stelle einiges sagen sollen, wollen wir vorausschicken, dass wir die Bezeichnung „Amt“ nicht gerne gebrauchen, dass wir aber eine andere, ganz zutreffende Bezeichnung für das, was gemeint ist, auch nicht recht haben. Im griechischen Urtexte des Neuen Testamentes steht der Ausdruck „Diakonia“ das heißt „Dienst“; wenn wir aber Dienst sagen, so kommt es nicht ganz zum Ausdruck, dass der, der die „Diakonia“ hat, damit einen dauernden Beruf und eine besondere Stellung in der Gemeinde einnimmt. Man hat deshalb wohl beide Bezeichnungen verbunden und von „Dienstämtern“ gesprochen und vielleicht ist es in der Tat die zutreffendste Bezeichnung.
Gab es denn nun in der ersten Gemeinde besondere Dienstämter? Ja, ohne Zweifel. Dieselben waren mit der Geistesausgießung gegeben und durch sie begründet. Mit dem Heiligen Geiste waren nämlich auch die Geistesgaben gegeben, und zwar vom Herrn, der sie in seinem Dienst zum Aufbau seines Leibes, der Gemeinde, benutzen wollte. Darüber reden am deutlichsten die Kapitel 12-14 des 1. Korintherbriefes und die Stelle Eph. 4,7-16, welche mitten aus den lebendigen Anfängen der apostolischen Tätigkeit Pauli stammen. Wir erfahren da nicht nur, dass es Dienstämter in der Gemeinde damals überhaupt schon gab, sondern wir hören auch, welche es gab. In der Stelle 1.Kor. 12,28 zählt sie Paulus sozusagen an den Fingern her: „Gott setzte die einen in der Gemeinde erstens zu Aposteln, zweitens zu Propheten, drittens zu Lehrern ....“ In Eph. 4,11 sind es einige Benennungen mehr, die er angibt; wir lesen nämlich da: „Er selbst setzte die Einen zu Aposteln, die andern zu Propheten, die andern zu Evangelisten, die anderen zu Hirten und Lehrern ....“ Diese Stelle, die offenbar später geschrieben ist als die erstere, gibt eine weitere Entfaltung der in 1.Kor. 12,28 genannten 3 Grundämter: „Apostel, Propheten, Lehrer.“ Wir kommen gleich darauf näher zu sprechen und wollen zunächst betonen, dass die genannten drei Dienstämter vom Herrn selbst verordnet waren („er selbst setzte“) und zwar nicht zu Nutzen einer einzelnen, örtlich beschränkten Gemeinde, sondern für die Gesamtgemeinde. Diese geistgesalbten Männer, die Apostel, Propheten und Lehrer, verbanden die Gemeinden aller Orte sozusagen als lebendige Bindeglieder. Das geht aus der Bedeutung hervor, die das Wort „Gemeinde“ in der Stelle 1.Kor. 12,28 hat; es kann dort offenbar nur die Gesamtgemeinde gemeint sein.
Unter den Aposteln, deren Dienstamt überall als das erste der vom Herrn geordneten genannt wird, versteht die Schrift Neuen Testaments überall in erster Linie die „Zwölfe“ und den Paulus, aber auf sie beschränkt ist der Name keineswegs. In Apg. 14,4 heißt auch Barnabas Apostel, und in Röm. 16,7 belegt Paulus seine Verwandten, Andronikus und Junias, mit diesem Namen; auch Epaphroditus wird mit diesem Namen genannt (Phi. 2,23) und die „Brüder“, die von den Gemeinden abgesandt waren (2.Kor. 8,23). Diese Ausdehnung des Wortes Apostel auf andere begnadete Männer neben den „Zwölfen“ wird durch die Tatsache erklärt, die uns auch in der nachapostolischen Zeit noch deutlich entgegentritt, dass es Männer gab, die, wie ein Paulus, hinauszogen, um das Evangelium zu verkündigen und Gemeinden zu gründen. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir die in der Stelle Eph. 4,11 erwähnten „Evangelisten“ oder Evangeliumsverkündiger darunter verstehen; sie sind also eine besondere, vom Herrn der ganzen Gemeinde gegebene Gruppe von „Aposteln“ neben den Zwölfen gewesen.
Jedenfalls war es die Aufgabe der Apostel wie der Evangelisten (Eph. 4,11) das Evangelium an bisher davon unberührte Orte zu bringen, während die Propheten und Lehrer (in Eph. 4,11 kommen die Hirten hinzu) den Beruf hatten, schon gegründete Gemeinden weiter zu erbauen und zu fördern. Den Propheten war nach 1.Kor. 14 vom Geist gegeben, die Gemeinde zu bauen durch Enthüllung der Gottestiefen wie der Tiefen des menschlichen Herzens, durch geistliches Richten und Aufrichten. Darum lesen wir 1.Kor. 14,3: „Der Prophet redet Menschen zur Erbauung und zur Tröstung und zum Zuspruch“; und V. 5: „Der Prophet erbaut die Gemeinde.“ Die Lehrer hinwieder waren den Propheten verwandt, jedenfalls dienten auch sie nicht, wie die Apostel und Evangelisten der Gemeindegründung, sondern der Gemeindeerbauung; ihnen war für diesen Zweck das „Wort der Weisheit und Lehre“ als Gnadengabe verliehen; es waren Leute, für die das Wort. 1.Kor. 12,8.9 gilt: „Den Einen ist gegeben ein Wort der Weisheit durch den Geist, einem andern ein Wort der Erkenntnis durch denselben Geist....“
Alle 3 genannten Dienste und Ämter, Apostel, Propheten und Lehrer, gehörten, wie gesagt, der Gesamtgemeinde an und nicht einer Ortsgemeinde. Daraus folgt, dass die Inhaber solcher Dienstämter, solange es ihre Kraft zuließ, wanderten von einer Gemeinde zur andern, von einem Ort zum andern. So sehen wir im Neuen Testament nicht nur den Paulus, sondern auch den Petrus, wie aus den zerstreuten Notizen über ihn hervorgeht, und den Johannes, den wir schließlich im hohen Alter zu Ephesus finden, und gewiss wanderten auch die andern Apostel, von denen wir wenig oder nichts wissen. Ein Beispiel für einen wandernden Lehrer könnte z.B. Apollos sein, den wir zuerst in Ephesus sehen, und der dann wohl nach Korinth ging, endlich bei Titus auf der Insel Kreta war (Tit. 3,13) und von diesem gemäß Pauli Auftrag mit allem nötigen zur Weiterreise sorgfältig versehen wurde, später war Apollos vielleicht in Italien. In Tit. 3,13 lernen wir auch den Gesetzeslehrer Zenas kennen, der jedenfalls ein ehemaliger Rabbi und jetziger christlicher Wanderlehrer war.
Wo sind denn nun diese wandernden Apostel, Propheten und Lehrer später geblieben? Es kann auf die Frage zweierlei geantwortet werden:
sie waren auch nach der apostolischen Zeit, in den Jahren 100-200 noch vorhanden
sie sind später allerdings gänzlich verschwunden; die Apostel verschwanden, als die bischöfliche Verfassung in den Gemeinden sich ausbildete, die Propheten verschwanden durch den Missbrauch, den die montanistische Bewegung mit dem geistgesalbten Prophetentum getrieben hatte, und die Lehrer verschwanden, als sich die theologischen Lehrschulen, die Katechetenschulen oder wie man sie nennen will, zu entwickeln begannen.
Dass aber die Geistesgaben für die genannten Dienstämter und die Möglichkeit, sie zu verwerten, allmählich aufhörte, ist ohne Frage sehr bedauerlich und ein Zeichen dafür, dass der Herr sich von der Gemeinde mehr und mehr zurückzog.
In der nachapostolischen Zeit aber gab es, wie schon gesagt, solche wandernden Apostel, Propheten und Lehrer noch. Das bezeugt besonders eine im Jahre 1883 wiederaufgefundene Schrift, die so genannte „Lehre der 12 Apostel“, die wahrscheinlich in den Jahren 100-150 n. Chr. geschrieben wurde. (http://www-user.uni-bremen.de/~wie/texteapo/didache.html) In dieser Schrift ist in den Kapiteln 10 ,11, 12, 13 von den wandernden Aposteln, Propheten und Lehrern die Rede, und es wird genaue Anweisung gegeben, wie die Gemeinden sich ihnen gegenüber zu verhalten hätten. Das ist ein Beweis dafür, dass es damals, also etwa um das Jahr 150, noch solche Männer gab. Auch einen bekannten Schriftsteller, Justin, zubenannt „der Märtyrer“, der Schriften hinterlassen hat, könnte man unter die wandernden Lehrer rechnen; bevor er den Märtyrertod erlitt (etwa 150 n. Chr.) war er durch die ganze Welt gezogen und hatte überall die Gemeinden besucht, lehrend und lernend. Später verschwinden aber, wie gesagt, diese Reiselehrer ganz.
Bevor wir uns jetzt zu den Dienstämtern in der Einzelgemeinde wenden, wollen wir dem Wunsche Ausdruck geben, dass der Herr selber doch auch der Gemeinde unserer Tage die Apostel (=Evangelisten =Missionare), die Propheten, die Lehrer wiedergeben möge, die der ganzen Gemeinde dienen, dass auch in unseren Tagen der Leib Christi, die Gemeinde, gebaut werde. Es ist keine Frage, dass auch die heutige Gemeinde ihrer bedarf und dass auch heute der Herr Gaben geben kann, die er im Dienst seiner Gesamtgemeinde verwendet wissen will. Es ist aber nötig, dass die Gemeinde sich umsehe nach solchen Männern, die der Herr für diesen großen Beruf ausgerüstet hat. Es wäre hierfür vielleicht segenbringend, wenn wir den Werdegang des Saul von Tarsus von seiner Bekehrung bis zu seiner Berufung und Anerkennung als Apostel sorgfältig beachteten. Das kann aber hier nicht näher ausgeführt, sondern nur hinweisend berührt werden. Es ist sehr lehrreich, wie Saul von Tarsus in der Stille lebt, dann von Barnabas nach Antiochien geholt wird, wie er dort ruhig in der Gemeinde wirkt, bis der Geist eine deutliche Anweisung gibt, wie er aber auch dann noch nicht der Führer ist, sondern erst auf der Reise durch Zypern gegenüber der bösen Macht in Bar-Jehu durch den Tatbeweis offenbar wird, dass Saulus, der nun Paulus heißt, den Beruf vom Herrn vor den andern hat, so dass jetzt sein Name an die erste Stelle tritt. (1)
Die Apostel, Propheten und Lehrer wussten sich vom Herrn für den Dienst der gesamten Gemeinde berufen; es bedurften aber auch die einzelnen Gemeinden, die Ortsgemeinden, sehr bald solcher, die ihnen besonders dienten. Vor allem machte sich sehr früh das Bedürfnis nach einer gewissen und bestimmten Leitung geltend. Deshalb nahmen zuerst die judenchristlichen Diasporagemeinden die Einrichtung der Ältestenkollegien an; das jüdische Volksganze wie die einzelnen Ortsgemeinden der Juden im jüdischen Land und in der Diaspora wurden ja bekanntlich von Ältesten geleitet. Der Jakobusbrief, der an judenchristliche Gemeinden, die noch innerhalb des jüdischen Volksganzen stehend gedacht sind, gerichtet ist, redet in jener bekannten Stelle Jak. 5,14 von den Ältesten, und an den Stellen Apg. 11,3;15,2;21,18 hören wir, dass die große judenchristliche Ur- und Muttergemeinde zu Jerusalem Älteste besaß, obwohl uns nicht erzählt wird, wann diese Gemeinde die Ältesten erwählt hat; es muss wohl nach den ersten Verfolgungszeiten und dem Weggang der Apostel von Jerusalem geschehen sein; die Ältesten traten an die Stelle der scheidenden Apostel. Die angeführten Stellen beweisen uns jedenfalls, dass in den judenchristlichen Gemeinden die Ältesten zuerst eine ständige Einrichtung wurden.
Es ist aber für uns nun sehr wichtig, wenn wir feststellen, dass auch Paulus in den Gemeinden Kleinasiens schon auf seiner ersten Reise Älteste einsetzte; dies lesen wir deutlich in Apg. 14,23: „Sie ordneten hin und her Älteste in den Gemeinden.“ In Apg. 20,17 hören wir von den Ältesten der Gemeinde zu Ephesus und es ist lehrreich, dass Paulus sie in seiner Abschiedsrede als vom Heiligen Geist gesetzte „Bischöfe“ (Aufseher) anredet; „Älteste“ und „Bischöfe“ sind also von Anfang an zwei Namen für dieselbe Sache. Wir sehen also, dass Paulus die jüdische und judenchristliche Ältesteneinrichtung auch in den von ihm gegründeten Gemeinden eingeführt hat. Er folgte da freilich keineswegs einem mechanischen Schema. In den griechischen Gemeinden z.B., die Paulus auf der zweiten und dritten Reise gründete, hören wir von Anfang an nichts von Ältesten. Aus den Stellen 1.Kor. 16,15; Röm. 16,1ff. u.a. lässt sich vielmehr schließen, dass in Griechenland die Neubekehrten sich zunächst um die Erstbekehrten oder um anderweitig hervorragende Glieder (z.B. Aquila, Priszilla) sammelten; diese Glieder stellten sich der Gemeinde freiwillig zu Dienste und nahmen in der Gemeinde eine ähnliche Stellung ein, wie die sogenannten „Patrone“ und „Patroninnen“ in den vielen damaligen religiösen Genossenschaften der heidnischen Griechen; wie Paulus also bei den Juden die jüdische Form des Gemeindedienstes annahm, so hat er bei den Griechen zunächst eine Form des Gemeindedienstes zugelassen, die in dem griechischen Volksleben gang und gäbe war. Allerdings betrachtete er diese Form nur als ein Anfangsstadium. Wohl gab es anfänglich in Griechenland feste Dienstämter nicht, aber sie entwickelten sich allmählich. In 1.Kor. 12,28 nennt Paulus unter den geistlichen Gaben auch die Gaben der Hilfeleistung und die Regierungsgaben. In diesen Gaben zu dienen und zu leiten lag dann auch der Keim zur Ausbildung der entsprechenden ständigen Ämter in den Gemeinden. So sehen wir z.B., dass die Gemeinde zu Philippi 10 Jahre nach ihrer Gründung „Aufseher“ und „Diener“ (Bischöfe und Diakonen) hat (Phi. 1,1); sie hatte sie von Anfang an nicht, vielmehr entwickelten sich dieselben dort im Laufe der Zeit. So wird es in Griechenland, wo Paulus von Anfang an die Ältesten nicht so einsetzte, wie er es in den mehr judenchristlichen Gemeinden Kleinasiens tat, wohl mehrfach gewesen sein; Paulus ließ der freien Entwicklung der Dienstämter in der Gemeinde Zeit und Raum. Erst als er gefangen dem Tode entgegensah, ordnete er die Gemeindeverhältnisse in dieser Hinsicht überall (auch in Griechenland) fester. Er beauftragte seine Stellvertreter, Titus und Timotheus, jetzt in jeder Gemeinde Älteste einzusetzen, die mit der Aufsicht und Verwaltung der Gemeinde zu betrauen sein; besonders bezog sich sein diesbezüglicher Auftrag auf die Stadtgemeinden, wie aus Tit. 1,5 hervorgeht: „deswegen ließ ich dich in Kreta, damit du das noch Fehlende durchführst und in jeder Stadt Älteste einsetztest ...“ Dass auch Timotheus einen ähnlichen Auftrag hatte, dass er jedenfalls der Ältestenfrage wie allen Dienstämtern in der Gemeinde seine besondere Sorgfalt zuwenden sollte, geht daraus hervor, dass ihm Paulus in 1.Tim. 3,1-13 genaue Anweisungen über die Dienstämter in der Gemeinde gibt, sowohl was die Ältesten als auch was die Diakonen betrifft. Übrigens zeigt ein sorgfältiges Vergleichen der Stellen über die Ältesten, dass die Namen „Älteste“ und „Bischöfe“ sich decken. Wie die Ältesten von Ephesus von Paulus als Bischöfe angeredet werden (Apg. 20,17.28), so wechselt auch in Tit. 1,5 und 7 die Bezeichnung „Ältester“ und „Bischof“. Jedenfalls hat Paulus diese Bezeichnungen nach Belieben gebraucht als Namen für dieselbe Sache.
Am Ausgange des Lebens Pauli sehen wir somit, dass in den größeren Gemeinden Älteste oder Bischöfe als leitende Aufseher standen und neben ihnen noch dienende Gehilfen oder Diakonen (vergleiche 1.Tim. 3,1-17; Phi. 1,1); ja, es werden sogar „Dienerinnen“ (Diakonissen) und Witwen erwähnt, die jedenfalls zu Dienstleistungen und auch zur Beaufsichtigung der weiblichen Gemeindeglieder berufen waren (1.Tim. 5,9).
Wie haben sich nun diese Dienstämter in den Einzelgemeinden nach dem Tode der Apostel weiter entwickelt? Antwort: Die Entwicklung war die, dass aus der Zahl der Ältesten sich allmählich einer heraushob, der sich nach und nach als „der Bischof“ von den „Ältesten“ unterschied. Dieser Bischof gewann alsdann allmählich im Ältestenkollegium den Vorsitz und ersten Rang und in der späteren Entwicklung wurde er der alleinige Machthaber in der Gemeinde überhaupt.
Diese Entwicklung vollzog sich am frühesten in den kleinasiatischen Gemeinden. Schon aus den Sendschreiben der Offenbarung (Kap. 2-3) sehen wir, dass in Kleinasien an der Spitze der Gemeinden ein „Engel“ stand. Dieses Wort bezeichnet gewisslich nicht einen überirdischen Engel, sondern einen menschlichen Ältesten oder Bischof; es hatte sich also in Kleinasien noch zu Lebzeiten des Johannes das Verhältnis so entwickelt, dass einer aus dem Ältestenkollegium an die Spitze desselben und damit eben auch an die Spitze der Gemeinde überhaupt trat. Diese Stellung desselben wird auch weder vom Herrn noch von Johannes getadelt. Wir können also in unserer Zeit auf Grund der Schrift bis zu diesem Punkte der Entwicklung mitgehen. Die nachapostolische Zeit aber ist noch weiter gegangen; sehr bald hat man die Stellung des jüdischen Priesters und Hohenpriesters auf jenen Bischof übertragen und so die Monarchie des Bischofs in der Gemeinde begründet. Clemens von Rom schrieb etwa im Jahre 95 einen Brief an die Gemeinde zu Korinth, worin er zum ersten Male jene verhängnisvolle Gleichstellung der Ältesten und Bischöfe mit den jüdischen Priestern aussprach. Ignatius aber, ein Bischof von Antiochien, der im Jahre 115 als Märtyrer starb, geht in seinen Briefen an verschiedene Gemeinden noch weiter: „Der Bischof steht an Gottes Statt,“ führt er aus, „untergebet euch ihm wie dem Herrn Jesus Christus; wo der Bischof ist, da ist die Gemeinde; ohne ihn gibt es keine Gemeinde (kein Sakrament); wer ohne den Bischof ist, dient dem Teufel, wer sich dem Bischof widersetzt, widersteht Gott.“ Solche Worte und Gedanken finden wir im Neuen Testament nicht, selbst da nicht, wo die Stellung der Ältesten und Bischöfe am weitesten ausgebildet ist. Gerade in Kleinasien, wo dies der Fall war, bekämpft der Apostel oder „Älteste“ Johannes in seinem 3. Briefe die Anmaßung des Diotrephes (3.Joh. 9), der der „erste sein wollte.“ Eine solche Entwicklung, wie sie also durch Clemens und Ignatius begründet wurde, lag nicht im Sinne der Apostel; das monarchische Bischofsamt, dem alle Machtbefugnisse zustehen, war nicht ihre Absicht. Gerade wie es eine bedauerliche Entwicklung der nachapostolischen Zeit ist, dass die wandernden Apostel, Evangelisten, Propheten und Lehrer allmählich bei Seite gedrückt wurden, so ist es bedauerlich, dass sich in den Gemeinden allmählich das monarchische Bischofsamt entwickelte, das nach und nach alle Befugnisse an sich riss.
Wohl aber ist es der Schrift und dem Sinne der Apostel entsprechend, dass diejenigen, die die Geistesgabe der Leitung haben, als Älteste oder Bischöfe der Gemeinde vorstehen und ihr mit ihren Gaben dienen; ebenso ist es schriftgemäß, wenn jenen auch zur Hilfe „Diener“ oder „Diakonen“ zur Seite treten. Das Beispiel der kleinasiatischen Gemeinden zeigt uns sogar, dass es nicht als unbiblisch verworfen werden kann, wenn aus der Zahl der Ältesten eine Person besonders hervortritt und die Gemeinde sozusagen repräsentiert. Weiter aber dürfen wir nicht gehen, wenn wir nicht über die von der Schrift gezeichneten Linien hinausgehen wollen. Dass in der gesamten Angelegenheit betreffend der Dienstämter in den Gemeinden eine große Freiheit herrscht, das haben wir wohl aus den bisherigen Ausführungen erkannt. Zeit und Raum zur Entwicklung, die die apostolischen Gemeinden in dieser Sache unter den Augen der Apostel hatten, dürfen wir gewiss auch in unserer Zeit in Anspruch nehmen, wo es angebracht ist. Es ist kein „muss“, daß eine Gemeinde von vornherein Presbyter und Diakonen hat; es haben sogar mancherlei Gestaltungen aus dem bürgerlichen Leben anfänglich Raum in der Gestaltung der Einzelgemeinde; es darf auch der Gemeinde nicht verwehrt werden, Älteste, Bischöfe, Diakonen, Diakonissen sich zu erwählen, wenn die Zeit dafür gekommen ist.
Zeitschrift Gärtner 6ff./1908
Wenn wir über dieses Thema an dieser Stelle einiges sagen sollen, wollen wir vorausschicken, dass wir die Bezeichnung „Amt“ nicht gerne gebrauchen, dass wir aber eine andere, ganz zutreffende Bezeichnung für das, was gemeint ist, auch nicht recht haben. Im griechischen Urtexte des Neuen Testamentes steht der Ausdruck „Diakonia“ das heißt „Dienst“; wenn wir aber Dienst sagen, so kommt es nicht ganz zum Ausdruck, dass der, der die „Diakonia“ hat, damit einen dauernden Beruf und eine besondere Stellung in der Gemeinde einnimmt. Man hat deshalb wohl beide Bezeichnungen verbunden und von „Dienstämtern“ gesprochen und vielleicht ist es in der Tat die zutreffendste Bezeichnung.
Gab es denn nun in der ersten Gemeinde besondere Dienstämter? Ja, ohne Zweifel. Dieselben waren mit der Geistesausgießung gegeben und durch sie begründet. Mit dem Heiligen Geiste waren nämlich auch die Geistesgaben gegeben, und zwar vom Herrn, der sie in seinem Dienst zum Aufbau seines Leibes, der Gemeinde, benutzen wollte. Darüber reden am deutlichsten die Kapitel 12-14 des 1. Korintherbriefes und die Stelle Eph. 4,7-16, welche mitten aus den lebendigen Anfängen der apostolischen Tätigkeit Pauli stammen. Wir erfahren da nicht nur, dass es Dienstämter in der Gemeinde damals überhaupt schon gab, sondern wir hören auch, welche es gab. In der Stelle 1.Kor. 12,28 zählt sie Paulus sozusagen an den Fingern her: „Gott setzte die einen in der Gemeinde erstens zu Aposteln, zweitens zu Propheten, drittens zu Lehrern ....“ In Eph. 4,11 sind es einige Benennungen mehr, die er angibt; wir lesen nämlich da: „Er selbst setzte die Einen zu Aposteln, die andern zu Propheten, die andern zu Evangelisten, die anderen zu Hirten und Lehrern ....“ Diese Stelle, die offenbar später geschrieben ist als die erstere, gibt eine weitere Entfaltung der in 1.Kor. 12,28 genannten 3 Grundämter: „Apostel, Propheten, Lehrer.“ Wir kommen gleich darauf näher zu sprechen und wollen zunächst betonen, dass die genannten drei Dienstämter vom Herrn selbst verordnet waren („er selbst setzte“) und zwar nicht zu Nutzen einer einzelnen, örtlich beschränkten Gemeinde, sondern für die Gesamtgemeinde. Diese geistgesalbten Männer, die Apostel, Propheten und Lehrer, verbanden die Gemeinden aller Orte sozusagen als lebendige Bindeglieder. Das geht aus der Bedeutung hervor, die das Wort „Gemeinde“ in der Stelle 1.Kor. 12,28 hat; es kann dort offenbar nur die Gesamtgemeinde gemeint sein.
Unter den Aposteln, deren Dienstamt überall als das erste der vom Herrn geordneten genannt wird, versteht die Schrift Neuen Testaments überall in erster Linie die „Zwölfe“ und den Paulus, aber auf sie beschränkt ist der Name keineswegs. In Apg. 14,4 heißt auch Barnabas Apostel, und in Röm. 16,7 belegt Paulus seine Verwandten, Andronikus und Junias, mit diesem Namen; auch Epaphroditus wird mit diesem Namen genannt (Phi. 2,23) und die „Brüder“, die von den Gemeinden abgesandt waren (2.Kor. 8,23). Diese Ausdehnung des Wortes Apostel auf andere begnadete Männer neben den „Zwölfen“ wird durch die Tatsache erklärt, die uns auch in der nachapostolischen Zeit noch deutlich entgegentritt, dass es Männer gab, die, wie ein Paulus, hinauszogen, um das Evangelium zu verkündigen und Gemeinden zu gründen. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir die in der Stelle Eph. 4,11 erwähnten „Evangelisten“ oder Evangeliumsverkündiger darunter verstehen; sie sind also eine besondere, vom Herrn der ganzen Gemeinde gegebene Gruppe von „Aposteln“ neben den Zwölfen gewesen.
Jedenfalls war es die Aufgabe der Apostel wie der Evangelisten (Eph. 4,11) das Evangelium an bisher davon unberührte Orte zu bringen, während die Propheten und Lehrer (in Eph. 4,11 kommen die Hirten hinzu) den Beruf hatten, schon gegründete Gemeinden weiter zu erbauen und zu fördern. Den Propheten war nach 1.Kor. 14 vom Geist gegeben, die Gemeinde zu bauen durch Enthüllung der Gottestiefen wie der Tiefen des menschlichen Herzens, durch geistliches Richten und Aufrichten. Darum lesen wir 1.Kor. 14,3: „Der Prophet redet Menschen zur Erbauung und zur Tröstung und zum Zuspruch“; und V. 5: „Der Prophet erbaut die Gemeinde.“ Die Lehrer hinwieder waren den Propheten verwandt, jedenfalls dienten auch sie nicht, wie die Apostel und Evangelisten der Gemeindegründung, sondern der Gemeindeerbauung; ihnen war für diesen Zweck das „Wort der Weisheit und Lehre“ als Gnadengabe verliehen; es waren Leute, für die das Wort. 1.Kor. 12,8.9 gilt: „Den Einen ist gegeben ein Wort der Weisheit durch den Geist, einem andern ein Wort der Erkenntnis durch denselben Geist....“
Alle 3 genannten Dienste und Ämter, Apostel, Propheten und Lehrer, gehörten, wie gesagt, der Gesamtgemeinde an und nicht einer Ortsgemeinde. Daraus folgt, dass die Inhaber solcher Dienstämter, solange es ihre Kraft zuließ, wanderten von einer Gemeinde zur andern, von einem Ort zum andern. So sehen wir im Neuen Testament nicht nur den Paulus, sondern auch den Petrus, wie aus den zerstreuten Notizen über ihn hervorgeht, und den Johannes, den wir schließlich im hohen Alter zu Ephesus finden, und gewiss wanderten auch die andern Apostel, von denen wir wenig oder nichts wissen. Ein Beispiel für einen wandernden Lehrer könnte z.B. Apollos sein, den wir zuerst in Ephesus sehen, und der dann wohl nach Korinth ging, endlich bei Titus auf der Insel Kreta war (Tit. 3,13) und von diesem gemäß Pauli Auftrag mit allem nötigen zur Weiterreise sorgfältig versehen wurde, später war Apollos vielleicht in Italien. In Tit. 3,13 lernen wir auch den Gesetzeslehrer Zenas kennen, der jedenfalls ein ehemaliger Rabbi und jetziger christlicher Wanderlehrer war.
Wo sind denn nun diese wandernden Apostel, Propheten und Lehrer später geblieben? Es kann auf die Frage zweierlei geantwortet werden:
sie waren auch nach der apostolischen Zeit, in den Jahren 100-200 noch vorhanden
sie sind später allerdings gänzlich verschwunden; die Apostel verschwanden, als die bischöfliche Verfassung in den Gemeinden sich ausbildete, die Propheten verschwanden durch den Missbrauch, den die montanistische Bewegung mit dem geistgesalbten Prophetentum getrieben hatte, und die Lehrer verschwanden, als sich die theologischen Lehrschulen, die Katechetenschulen oder wie man sie nennen will, zu entwickeln begannen.
Dass aber die Geistesgaben für die genannten Dienstämter und die Möglichkeit, sie zu verwerten, allmählich aufhörte, ist ohne Frage sehr bedauerlich und ein Zeichen dafür, dass der Herr sich von der Gemeinde mehr und mehr zurückzog.
In der nachapostolischen Zeit aber gab es, wie schon gesagt, solche wandernden Apostel, Propheten und Lehrer noch. Das bezeugt besonders eine im Jahre 1883 wiederaufgefundene Schrift, die so genannte „Lehre der 12 Apostel“, die wahrscheinlich in den Jahren 100-150 n. Chr. geschrieben wurde. (http://www-user.uni-bremen.de/~wie/texteapo/didache.html) In dieser Schrift ist in den Kapiteln 10 ,11, 12, 13 von den wandernden Aposteln, Propheten und Lehrern die Rede, und es wird genaue Anweisung gegeben, wie die Gemeinden sich ihnen gegenüber zu verhalten hätten. Das ist ein Beweis dafür, dass es damals, also etwa um das Jahr 150, noch solche Männer gab. Auch einen bekannten Schriftsteller, Justin, zubenannt „der Märtyrer“, der Schriften hinterlassen hat, könnte man unter die wandernden Lehrer rechnen; bevor er den Märtyrertod erlitt (etwa 150 n. Chr.) war er durch die ganze Welt gezogen und hatte überall die Gemeinden besucht, lehrend und lernend. Später verschwinden aber, wie gesagt, diese Reiselehrer ganz.
Bevor wir uns jetzt zu den Dienstämtern in der Einzelgemeinde wenden, wollen wir dem Wunsche Ausdruck geben, dass der Herr selber doch auch der Gemeinde unserer Tage die Apostel (=Evangelisten =Missionare), die Propheten, die Lehrer wiedergeben möge, die der ganzen Gemeinde dienen, dass auch in unseren Tagen der Leib Christi, die Gemeinde, gebaut werde. Es ist keine Frage, dass auch die heutige Gemeinde ihrer bedarf und dass auch heute der Herr Gaben geben kann, die er im Dienst seiner Gesamtgemeinde verwendet wissen will. Es ist aber nötig, dass die Gemeinde sich umsehe nach solchen Männern, die der Herr für diesen großen Beruf ausgerüstet hat. Es wäre hierfür vielleicht segenbringend, wenn wir den Werdegang des Saul von Tarsus von seiner Bekehrung bis zu seiner Berufung und Anerkennung als Apostel sorgfältig beachteten. Das kann aber hier nicht näher ausgeführt, sondern nur hinweisend berührt werden. Es ist sehr lehrreich, wie Saul von Tarsus in der Stille lebt, dann von Barnabas nach Antiochien geholt wird, wie er dort ruhig in der Gemeinde wirkt, bis der Geist eine deutliche Anweisung gibt, wie er aber auch dann noch nicht der Führer ist, sondern erst auf der Reise durch Zypern gegenüber der bösen Macht in Bar-Jehu durch den Tatbeweis offenbar wird, dass Saulus, der nun Paulus heißt, den Beruf vom Herrn vor den andern hat, so dass jetzt sein Name an die erste Stelle tritt. (1)
Die Apostel, Propheten und Lehrer wussten sich vom Herrn für den Dienst der gesamten Gemeinde berufen; es bedurften aber auch die einzelnen Gemeinden, die Ortsgemeinden, sehr bald solcher, die ihnen besonders dienten. Vor allem machte sich sehr früh das Bedürfnis nach einer gewissen und bestimmten Leitung geltend. Deshalb nahmen zuerst die judenchristlichen Diasporagemeinden die Einrichtung der Ältestenkollegien an; das jüdische Volksganze wie die einzelnen Ortsgemeinden der Juden im jüdischen Land und in der Diaspora wurden ja bekanntlich von Ältesten geleitet. Der Jakobusbrief, der an judenchristliche Gemeinden, die noch innerhalb des jüdischen Volksganzen stehend gedacht sind, gerichtet ist, redet in jener bekannten Stelle Jak. 5,14 von den Ältesten, und an den Stellen Apg. 11,3;15,2;21,18 hören wir, dass die große judenchristliche Ur- und Muttergemeinde zu Jerusalem Älteste besaß, obwohl uns nicht erzählt wird, wann diese Gemeinde die Ältesten erwählt hat; es muss wohl nach den ersten Verfolgungszeiten und dem Weggang der Apostel von Jerusalem geschehen sein; die Ältesten traten an die Stelle der scheidenden Apostel. Die angeführten Stellen beweisen uns jedenfalls, dass in den judenchristlichen Gemeinden die Ältesten zuerst eine ständige Einrichtung wurden.
Es ist aber für uns nun sehr wichtig, wenn wir feststellen, dass auch Paulus in den Gemeinden Kleinasiens schon auf seiner ersten Reise Älteste einsetzte; dies lesen wir deutlich in Apg. 14,23: „Sie ordneten hin und her Älteste in den Gemeinden.“ In Apg. 20,17 hören wir von den Ältesten der Gemeinde zu Ephesus und es ist lehrreich, dass Paulus sie in seiner Abschiedsrede als vom Heiligen Geist gesetzte „Bischöfe“ (Aufseher) anredet; „Älteste“ und „Bischöfe“ sind also von Anfang an zwei Namen für dieselbe Sache. Wir sehen also, dass Paulus die jüdische und judenchristliche Ältesteneinrichtung auch in den von ihm gegründeten Gemeinden eingeführt hat. Er folgte da freilich keineswegs einem mechanischen Schema. In den griechischen Gemeinden z.B., die Paulus auf der zweiten und dritten Reise gründete, hören wir von Anfang an nichts von Ältesten. Aus den Stellen 1.Kor. 16,15; Röm. 16,1ff. u.a. lässt sich vielmehr schließen, dass in Griechenland die Neubekehrten sich zunächst um die Erstbekehrten oder um anderweitig hervorragende Glieder (z.B. Aquila, Priszilla) sammelten; diese Glieder stellten sich der Gemeinde freiwillig zu Dienste und nahmen in der Gemeinde eine ähnliche Stellung ein, wie die sogenannten „Patrone“ und „Patroninnen“ in den vielen damaligen religiösen Genossenschaften der heidnischen Griechen; wie Paulus also bei den Juden die jüdische Form des Gemeindedienstes annahm, so hat er bei den Griechen zunächst eine Form des Gemeindedienstes zugelassen, die in dem griechischen Volksleben gang und gäbe war. Allerdings betrachtete er diese Form nur als ein Anfangsstadium. Wohl gab es anfänglich in Griechenland feste Dienstämter nicht, aber sie entwickelten sich allmählich. In 1.Kor. 12,28 nennt Paulus unter den geistlichen Gaben auch die Gaben der Hilfeleistung und die Regierungsgaben. In diesen Gaben zu dienen und zu leiten lag dann auch der Keim zur Ausbildung der entsprechenden ständigen Ämter in den Gemeinden. So sehen wir z.B., dass die Gemeinde zu Philippi 10 Jahre nach ihrer Gründung „Aufseher“ und „Diener“ (Bischöfe und Diakonen) hat (Phi. 1,1); sie hatte sie von Anfang an nicht, vielmehr entwickelten sich dieselben dort im Laufe der Zeit. So wird es in Griechenland, wo Paulus von Anfang an die Ältesten nicht so einsetzte, wie er es in den mehr judenchristlichen Gemeinden Kleinasiens tat, wohl mehrfach gewesen sein; Paulus ließ der freien Entwicklung der Dienstämter in der Gemeinde Zeit und Raum. Erst als er gefangen dem Tode entgegensah, ordnete er die Gemeindeverhältnisse in dieser Hinsicht überall (auch in Griechenland) fester. Er beauftragte seine Stellvertreter, Titus und Timotheus, jetzt in jeder Gemeinde Älteste einzusetzen, die mit der Aufsicht und Verwaltung der Gemeinde zu betrauen sein; besonders bezog sich sein diesbezüglicher Auftrag auf die Stadtgemeinden, wie aus Tit. 1,5 hervorgeht: „deswegen ließ ich dich in Kreta, damit du das noch Fehlende durchführst und in jeder Stadt Älteste einsetztest ...“ Dass auch Timotheus einen ähnlichen Auftrag hatte, dass er jedenfalls der Ältestenfrage wie allen Dienstämtern in der Gemeinde seine besondere Sorgfalt zuwenden sollte, geht daraus hervor, dass ihm Paulus in 1.Tim. 3,1-13 genaue Anweisungen über die Dienstämter in der Gemeinde gibt, sowohl was die Ältesten als auch was die Diakonen betrifft. Übrigens zeigt ein sorgfältiges Vergleichen der Stellen über die Ältesten, dass die Namen „Älteste“ und „Bischöfe“ sich decken. Wie die Ältesten von Ephesus von Paulus als Bischöfe angeredet werden (Apg. 20,17.28), so wechselt auch in Tit. 1,5 und 7 die Bezeichnung „Ältester“ und „Bischof“. Jedenfalls hat Paulus diese Bezeichnungen nach Belieben gebraucht als Namen für dieselbe Sache.
Am Ausgange des Lebens Pauli sehen wir somit, dass in den größeren Gemeinden Älteste oder Bischöfe als leitende Aufseher standen und neben ihnen noch dienende Gehilfen oder Diakonen (vergleiche 1.Tim. 3,1-17; Phi. 1,1); ja, es werden sogar „Dienerinnen“ (Diakonissen) und Witwen erwähnt, die jedenfalls zu Dienstleistungen und auch zur Beaufsichtigung der weiblichen Gemeindeglieder berufen waren (1.Tim. 5,9).
Wie haben sich nun diese Dienstämter in den Einzelgemeinden nach dem Tode der Apostel weiter entwickelt? Antwort: Die Entwicklung war die, dass aus der Zahl der Ältesten sich allmählich einer heraushob, der sich nach und nach als „der Bischof“ von den „Ältesten“ unterschied. Dieser Bischof gewann alsdann allmählich im Ältestenkollegium den Vorsitz und ersten Rang und in der späteren Entwicklung wurde er der alleinige Machthaber in der Gemeinde überhaupt.
Diese Entwicklung vollzog sich am frühesten in den kleinasiatischen Gemeinden. Schon aus den Sendschreiben der Offenbarung (Kap. 2-3) sehen wir, dass in Kleinasien an der Spitze der Gemeinden ein „Engel“ stand. Dieses Wort bezeichnet gewisslich nicht einen überirdischen Engel, sondern einen menschlichen Ältesten oder Bischof; es hatte sich also in Kleinasien noch zu Lebzeiten des Johannes das Verhältnis so entwickelt, dass einer aus dem Ältestenkollegium an die Spitze desselben und damit eben auch an die Spitze der Gemeinde überhaupt trat. Diese Stellung desselben wird auch weder vom Herrn noch von Johannes getadelt. Wir können also in unserer Zeit auf Grund der Schrift bis zu diesem Punkte der Entwicklung mitgehen. Die nachapostolische Zeit aber ist noch weiter gegangen; sehr bald hat man die Stellung des jüdischen Priesters und Hohenpriesters auf jenen Bischof übertragen und so die Monarchie des Bischofs in der Gemeinde begründet. Clemens von Rom schrieb etwa im Jahre 95 einen Brief an die Gemeinde zu Korinth, worin er zum ersten Male jene verhängnisvolle Gleichstellung der Ältesten und Bischöfe mit den jüdischen Priestern aussprach. Ignatius aber, ein Bischof von Antiochien, der im Jahre 115 als Märtyrer starb, geht in seinen Briefen an verschiedene Gemeinden noch weiter: „Der Bischof steht an Gottes Statt,“ führt er aus, „untergebet euch ihm wie dem Herrn Jesus Christus; wo der Bischof ist, da ist die Gemeinde; ohne ihn gibt es keine Gemeinde (kein Sakrament); wer ohne den Bischof ist, dient dem Teufel, wer sich dem Bischof widersetzt, widersteht Gott.“ Solche Worte und Gedanken finden wir im Neuen Testament nicht, selbst da nicht, wo die Stellung der Ältesten und Bischöfe am weitesten ausgebildet ist. Gerade in Kleinasien, wo dies der Fall war, bekämpft der Apostel oder „Älteste“ Johannes in seinem 3. Briefe die Anmaßung des Diotrephes (3.Joh. 9), der der „erste sein wollte.“ Eine solche Entwicklung, wie sie also durch Clemens und Ignatius begründet wurde, lag nicht im Sinne der Apostel; das monarchische Bischofsamt, dem alle Machtbefugnisse zustehen, war nicht ihre Absicht. Gerade wie es eine bedauerliche Entwicklung der nachapostolischen Zeit ist, dass die wandernden Apostel, Evangelisten, Propheten und Lehrer allmählich bei Seite gedrückt wurden, so ist es bedauerlich, dass sich in den Gemeinden allmählich das monarchische Bischofsamt entwickelte, das nach und nach alle Befugnisse an sich riss.
Wohl aber ist es der Schrift und dem Sinne der Apostel entsprechend, dass diejenigen, die die Geistesgabe der Leitung haben, als Älteste oder Bischöfe der Gemeinde vorstehen und ihr mit ihren Gaben dienen; ebenso ist es schriftgemäß, wenn jenen auch zur Hilfe „Diener“ oder „Diakonen“ zur Seite treten. Das Beispiel der kleinasiatischen Gemeinden zeigt uns sogar, dass es nicht als unbiblisch verworfen werden kann, wenn aus der Zahl der Ältesten eine Person besonders hervortritt und die Gemeinde sozusagen repräsentiert. Weiter aber dürfen wir nicht gehen, wenn wir nicht über die von der Schrift gezeichneten Linien hinausgehen wollen. Dass in der gesamten Angelegenheit betreffend der Dienstämter in den Gemeinden eine große Freiheit herrscht, das haben wir wohl aus den bisherigen Ausführungen erkannt. Zeit und Raum zur Entwicklung, die die apostolischen Gemeinden in dieser Sache unter den Augen der Apostel hatten, dürfen wir gewiss auch in unserer Zeit in Anspruch nehmen, wo es angebracht ist. Es ist kein „muss“, daß eine Gemeinde von vornherein Presbyter und Diakonen hat; es haben sogar mancherlei Gestaltungen aus dem bürgerlichen Leben anfänglich Raum in der Gestaltung der Einzelgemeinde; es darf auch der Gemeinde nicht verwehrt werden, Älteste, Bischöfe, Diakonen, Diakonissen sich zu erwählen, wenn die Zeit dafür gekommen ist.
Zeitschrift Gärtner 6ff./1908
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